Mein süßes Geheimnis
Als ich mich aus Lust und Laune in einem Internetportal anmeldete, hätte ich nie gedacht, dass mein geplantes Abenteuer mal in einem Gefühlsdesaster enden würde. Nun weiß ich: Auch Fremdgehen will gelernt sein…
„Guten Morgen, Du Schöne! Die Sonne scheint, strahlend blauer Himmel – was hältst Du von einem kühlen Alster? Gib Dir einen Ruck und lass uns die Zeit nicht mit Schreiben vertrödeln. 17.00 Uhr? Das Café am Hafen?“
Als diese Mail bei mir eintrudelt, bin ich noch keine 24 Stunden bei einer dieser Partnerbörsen angemeldet. Einfach aus Neugierde, aus Spaß. Einmal sündigen – was ist denn schon dabei? Es ist nicht mehr als ein kleiner Feldversuch. Mein Profil habe ich nur lückenhaft ausgefüllt, mit dem Smartphone noch schnell ein Selfie geknipst. Und nun ist es plötzlich da, das direkte Angebot. Ich bin aufgeregt, ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Magengrube breit. Was schreibe ich ihm denn nun? Meine Güte, ich komme mir vor wie ein Schulkind vor der ersten Mathearbeit. Ist es sein Foto, das mich so nervös macht? Braune Augen, blonde, wilde Lockenmähne – ja, er kann sich sehen lassen, dieser Janis. Kann das eigentlich Zufall sein? Woher kennt dieses Portal mein Beuteschema?
Soll ich das wirklich tun? Schließlich bin ich in festen Händen und glücklich dazu! Gut, ja, es war schon mal aufregender, und ja, die Liebesbezeugungen und Zeiten, an denen wir es hemmungslos auf dem Küchentisch getrieben haben, sind einer trauten Zweisamkeit gewichen. Dennoch: Ich mag meine Beziehung! Soll ich mich mit einem Typen treffen, dessen Stimme ich noch nicht einmal kenne? Auf der anderen Seite wollte ich doch ein Abenteuer. Und hallo, es wird mir gerade auf einem Silbertablett serviert. Ich muss ja nicht bis zum Äußersten gehen. Nur ein bisschen flirten will ich, das wird ja wohl erlaubt sein… „17 Uhr am Hafen“, lautet meine hektisch getippte Antwort. „Geht klar!“
Mein Herz rast, als ich mich dem Bootsanleger nähere. Ich erkenne ihn sofort. Meine Güte, er sieht noch besser aus als auf dem Foto: Dreitagebart, die Locken windzerzaust, muskulöse Beine in Surfer-Shorts und dieses Lächeln… zum Dahinschmelzen. Die erste Berührung fühlt sich seltsam vertraut an, als sein Mund bei der Begrüßung zufällig meine Wange streift. Wir unterhalten uns, ungezwungen, über Gott und die Welt. Wie selbstverständlich legt er seine Hand auf mein Bein. Wir haben viel gemeinsam. Er liebt genau wie ich die französische Provence. Krimikomödien und Flammkuchen mit Ziegenkäse. Es braucht keine Fragen, keine Antworten, als wir später zu ihm gehen und er ohne Eile damit beginnt, mich auszuziehen. Es ist jener bewusste Sex, den man mit jeder Faser seines Körpers spürt. Wir lassen uns Zeit − einmal, zweimal und sogar noch ein drittes Mal, bevor ich mit klopfendem Herzen nach Hause fahre. Zurück zu meinem Freund. Zurück in mein altes Leben. Ist das wirklich gerade passiert? Alles kommt mir plötzlich so unwirklich vor. Und tief in mir spüre ich, dass dieses Abenteuer mich dazu verführen könnte, es noch einmal zu tun. Mit jedem Kilometer, den ich zurücklege, meldet sich die Sehnsucht auf ein Wiedersehen. Ich habe Blut geleckt.
Janis geht es offenbar genauso. In den nächsten Wochen schreiben wir uns viel. Und mit jeder versteckten E-Mail, jeder heimlichen SMS wird mein schlechtes Gewissen größer. Das, was gerade passiert, ist nicht mehr berechenbar, es entgleitet meiner Kontrolle. Und plötzlich prasselte sie mit voller Wucht auf mich ein, diese Angst. Die Angst, meinen Freund zu verlieren. Aber warum war denn in einer vermeintlich intakten Beziehung überhaupt Platz für Gefühle wie diese? War es möglich, zwei Männer zu lieben? Liebe, ein großes Wort. Bahnte sich überhaupt so etwas wie Liebe an, oder war ich einfach nur süchtig nach diesem Gefühl, begehrt zu werden?
Meine Gedanken fahren Achterbahn und kreisen immer wieder um denselben Punkt: Lässt sich das vereinen? Mit dem einen die beständige Beziehung, mit dem anderen leidenschaftlichen Sex? Verdammt, nein, ich kann mein Herz nicht teilen. Oder doch?
Es folgen weitere fünf Treffen: fünf Mal gigantischer Sex, fünf Mal dieses neue, aufregende Gefühl und fünf Mal das schlechteste Gewissen aller Zeiten. Diese innere Zerrissenheit – früher oder später würde mein Freund davon Wind bekommen. Wollte ich für ein wenig Spaß wirklich meine Beziehung aufs Spiel setzen?
Was soll ich sagen: Es ist besser, aus einem fahrenden Zug zu springen, bevor er gegen eine Wand rast. Ich bin gesprungen. Gerade noch rechtzeitig. Es gab ein paar Prellungen am Herzen, aber die konnte ich mit Schokoeis und Gin-Tonic behandeln.
Seitensprünge mit potentiellen Beziehungskandidaten? Nie wieder! Große Gefühle haben da nichts zu suchen! Erlaubt ist lediglich der pure Sex. Aber das Ganze hat auch ein Gutes: Die Beziehung zu meinem Freund hat durch mein heftiges Techtelmechtel neue Impulse bekommen. Ich weiß jetzt, was ich an ihm habe. Und das ist doch auch nicht die schlechteste Lektion, oder?
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